Lûthelén

Der Zauberwald

Für meinen Sohn,
der hoffentlich einst das gleiche sieht wie ich.
Und auf das Lützeltal,
auf dessen kleine große Wunder.


In einer Geschichte werden uns viele Leute und Orte vor gestellt; ihre Namen, ihr Aussehen, Alter und Geschlecht, doch ich will sie euch nicht nur vorstellen, sondern wünsche mir, dass i h r sie euch vorstellt; den zauberhaften Wald aus Tobias Kindheit und die seltsamen Wesen, denen er damals begegnete.
Jener Wald liegt in einem tiefen Tal, dass sich durch ein Land voller Felder und Berge wie ein Fluss schlängelt und das eine Ende dem anderen überhaupt nicht ähnlich sieht. Es beginnt an einer großen Eisenbahnbrücke, die höher ist als der höchste Baum am Fuß der Hügel, wo sich Birken im steilen Schotterboden, vom Talweg bis zu beiden Schienen ihr Daseinsrecht erkämpfen, und endet, oder viel mehr verliert sich, nach vielen Kurven und Ausläufern in der Kuhweide des Bauern Friedemann, der es gar nicht mag, wenn Wanderer und Spatziergänger seine Kühe stören.
So groß ist es, dass man Tage und Wochen damit verbringen kann jeden Winkel, jede Höhle und vor allem den Bach und seinen Weg zu erkunden und so klein ist es, dass man das Tal in weniger als einer Stunde von der großen Brücke bis zum Bauern durchschreiten konnte, hatte man lange Beine und es eilig.
In diesem großen kleinen Tal tummelten sich damals allerhand Wesen und tummeln sich bis heut, wie sie in jedem Wald zu finden sind. Die Tiere der Lüfte, vom Spatz bis zum Falken, die Tiere des Erdreiches, vom Regenwurm bis zur Natter und die, die irgendwo dazwischen leben. Da sind Eichhörnchen in großer Zahl vertreten, ein Rehhirsch und seine Weibchen und ein Wildschweinpärchen, das zu Tobias Zeiten sechs entzückende Frischlinge hatte.
Wenn in dem kleinen Städtchen, dass ganz in der Nähe auf einem Berg liegt, noch alles in den Betten ist und über den Feldern des Bauern Friedemanns die Sonne auf geht, geht es im Wald laut zu. Da wünscht jeder Vogel dem anderen lauthals einen Guten Tag, und das am besten mehrmals nach einander, damit der Wunsch auch ja in Erfüllung geht. Die Rehe strecken und wecken ihre müden Glieder im Wettlauf durch das Unterholz und die Wildschweine sind schon tüchtig bei der Arbeit und wühlen die Erde unter den Bäumen auf, auf denen die Eichhörnchen die verschlafenen Augen im Tau der Blätter waschen.
Dann will alles gut vorbereitet sein, denn jeden Tag kommen ein paar Menschen um zu sehen und dann stets brav zu sagen, wie schön das Tal doch ist.
Während da die Wildschweine eifersüchtig über ihre Gebüsche und Wiese wachen, halten sich die Rehe, graziös und vornehm, im Hintergrund und sagen mit stolzer Haltung jedem der sie sieht, dass Schauen erlaubt, Anfassen aber verboten ist. Die kleinen unterm Vogelvolk indes kämpfen heldenhaft um die Aufmerksamkeit der Spaziergänger; „Schau zu mir, schau doch nur, wie schön ich bin!“ ruft da der eine hinab, und „Hör doch nur, so höre doch, wie gut ich singen kann!“ ruft ein anderer. Und wenn die Menschen dann nur nickend meinen, freilich, schön ist ´s hier, und weiter gehen, tut sich keiner der Waldbewohner einen Abbruch dran und posiert munter weiter.
Wenn dann am Abend der letzte Wanderer das Tal verlässt, und die Sonne den Himmel hinter der großen Brücke in warme Farben taucht, kehrt endlich Ruhe in das rege Waldleben. Nur eine einzelne Nachtigal will nicht glauben, dass auch diese Nacht vorüber geht und weint mit rührender Melodie dem Tag hinterher.
Man möchte meinen, jeden Tag das gleiche Schauspiel zu sehen, und jedem gebe ich da Recht, der das behauptet, denn solche Leute wollen selten sehen, was in diesem Wald noch alles geschieht…

So begab es sich vor einer ganzen Weile, dass solche Leute mit ihrem kleinen Sohn, der verträumt und den Leuten viel zu langsam hinterher tapste, den Weg vom Städtchen in das Tal hinab wanderten um, wie stets, zu sagen, wir waren am Sonntag im Wald und da ist ´s schön und dem Kind tut ´s gut.
Es war ein Frühlingstag an dem der Schnee noch nass und matschig zwischen den Bäumen lag und die ersten gefiederten Heimkehrer aus dem Süden ihre Nester bezogen.
Die Leute redeten über den Alltag, beschwerten sich ein wenig, dass sie für das Tauwetter die falschen Schuhe trugen und gingen mit großen Schritten um Pfützen herum und leeren Blicken an den schönsten Flecken des Waldes vorbei. Das warm eingepackte Kind hätte Mühe gehabt den Eltern zu folgen, doch Mühe gab es sich nicht besonders denn viel interessanter war, was sich links und rechts des Weges abspielte; So viele Steinchen die da lagen, sich türmten und nahezu verlockend glitzerten, und das dornige Brombeergestrüpp, das unter seinen Ranken Geheimnise zu verbergen schien, war mit so feinen Spinnenweben durchwirkt und der kleine Mann mit faltigem Gesicht der da in sich zusammen gesunken auf einer Baumwurzel thronte. Das alles zog die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich
„Tobias“! schalte es da ungeduldig durch den Wald. „Tobias, komm endlich!“
Tobias dachte gutmütig an seine liebe Mutter, beachtete sie jedoch nicht weiter denn just galt es, einen Falter zu bestaunen der zwischen ihm und dem Zwerg auf der Wurzel hin und her flatterte. Er merkte nicht, wie sich die Augenbrauen des Zwergen gefährlich zusammen zogen als jener zu denken schien, so viel Verpackung, für so ein kleines Menschlein?
Der freche Falter indes lies sich auf einer der buschigen Brauen nieder und Tobias begann zu grinsen. Ein Grollen ging dann von der Wurzel aus und lies den Boden unter Tobias leicht erzittern.„Verschwindet, alle beide“. Brummte der Zwerg leise und ruhig, aber mit erschreckend tiefer Stimme.
„Tobias!“ schalte es wieder, „Eins…“
Traurig blickte Tobias dem Falter hinter der zwischen den Bäumen verschwand und er ihn unter tausenden von Faltern vielleicht nie wieder sehen würde. Vorwurfsvoll warf er dann einen trotzigen Blick zu dem Zwergen hinauf der genauso ruhig und genauso eingesunken dasaß wie zu vor.
„Zwei…!“
Nun aber grinste der Zwerg. Ein kleines, schadenfreudiges Grinsen, dass Tobias den Kopf schütteln lies. Da er schon ein großer Junge war, in diesem Frühling immerhin ganz drei Jahre alt, wusste er, was auf der Zwei folgte und wenn er dann wiederum nicht folgen würde gäbe es Ärger. Das gehörte zu den Dingen, die Tobias nicht leiden konnte also gönnte er seiner Mutter den Triumph und rannte auf seinen kurzen Beinen, so schnell es ihm der viel zu dicke Anzug ermöglichte, den Eltern und Großeltern hinterher.
Bei Tisch, zum Abendbrot, erzählte er dann seiner Familie aufgeweckt vom Frühling, dass es bald so warm ist, dass man baden gehen könne, vom Essen im Kindergarten und vom „Werg“ im Wald.
„Berg, Tobias. Be wie beim Ball.“ erklärte der Vater kurz und die Mutter bejahte lächelnd die schönen Berge der Umgebung. Meinte, dass sie bald einmal wieder hier her kommen sollten. Das löste eine längere Diskussion unter den Erwachsenen aus in der sich besonders die Großmutter darüber beklagte, dass sie, die Eltern und Tobias, viel zu selten zu Besuch kamen. Tobias´ „Werg“ war schnell vergessen.

Zu ungefähr der gleichen Zeit geschah etwas Merkwürdiges im Tal. Die Nachtigall trällerte wie jeden Abend ihre Trauer aus der Kehle, der untergehenden Sonne zu, doch die anderen Tiere wollten einfach nicht zur Ruhe kommen und ein Raunen und Geraschel ging durch den Wald.
Ein kleiner, blauer Schimmer hüpfte von Baum zu Baum, verweilte bei jedem kurz und wo er weiter sprang entstand Tumult im Geäst und weitere Lichtpünktchen, in den verschiedensten Farbtönen, tauchten auf um dem Boten zu folgen. Bald war es eine ganze Traube, wie ein Schwarm leuchtender, hüpfender Bienen, der durch den Wald flog und summte und surrte wie die Honigsammler. Doch das Summen und Surren, wie sich heraus stellte, war nicht etwa das vieler Bienenflügelchen, sondern das Flüstern hunderter dünner Stimmen die durcheinander redeten und wohl alle Wichtiges zu sagen hatten. „Der Zwerg hat’s gesehen, der Zwerg hat’s gesagt.“ Wisperte es zwischen den Lichtern die auf eine Wiese, und endlich zum Stillstand kamen. Die Wiese führte zu einem kleinen Tümpel auf dem Äste und Blattwerk schwammen und waghalsige Frösche die Köpfe raus streckten.
„Der Zwerg hat’s gesehen, der Zwerg hat’s gesagt.“ ging es auch durch die Reihen schattenhafter, kindsgroßer Gestalten die am Ufer versammelt standen.
Es war ein seltsamer Anblick, der sich da einem bot; die knopfgroßen Lichtpünktchen am Waldrand die, in allen Farben vertreten, durch einander wirbelten beleuchteten die hohen Laub- und Tannenbäume geisterhaft. Wie Kobolde gackerten und geckerten die kleinen, dickbäuchigen Gestalten am Wasser, schubsten sich und knufften sich, bis einer in den Tümpel fiel und alles jubelnd aufjauchzte als er mit einer völlig teilnahmslosen Kröte auf dem Kopf wieder auftauchte. Die Eichhörnchen sprangen durch die Baumkronen, versuchten zu sehen, was unten vor sich ging und mancher Vogel ereiferte sich tschilpend über die ungestümen Nager.
Über diese Aufregung hinweg sah das Paar blauer, tieftrauriger Augen einer jungen Frau wie sie schöner hätte kaum sein können. Glattes, schwarzes Haar floss über ihren Rücken bis zur Taille hinab und einzelnen Strähnen wehte der Wind theatralisch über ihr, wie aus Elfenbein geschnittenes, Gesicht. Als ginge sie das alles nichts an blickte die Schöne in unerschütterlicher Melancholie über den Tümpel als wäre er das Meer und in der Ferne ihre Sehnsucht. Auch störte sie sich nicht daran, als die wilden Waldgeister begannen um ihren fliederblauen Rocksaum zutollen und sich gegenseitig von der Brüstung der kleinen Brücke zu werfen.
Zu diesem Auflauf verschiedenster Wesen gesellten sich bald eine Gruppe von Männern und Frauen, die der Madame Melancholica, und überhaupt allen Männern und Frauen, nicht unähnlich sahen, jedoch bei genauerem Hinsehen völlig anders waren; sie leuchteten. Nicht im Licht, so wie die wirre Versammlung bunter Schimmer, sondern war es das Strahlen ihrer Augen was ihrem ganzen Erscheinen etwas Glanzvolles verlieh. Belustigt und freundlich sahen sie auf das Treiben am Teich als sie zwischen die Wesen schritten und bald fragte einer, als man es wieder flüstern hörte „Der Zwerg hat’s gesehen, der Zwerg hat’s gesagt, “ was der Zwerg denn gesehen hat, und von welchem Zwerg überhaupt die Rede sei.
Da schrieen die Kobolde durcheinander, die Lichter schnatterten mit ihrem piepsigen Stimmchen drauf los und die Neuankömmlinge schüttelten nur die Köpfe, denn kein einziges Wort war mehr zu verstehen.
„Hmmm“ brummte es da plötzlich und der ganze Wald, selbst die einsame Nachtigal, verstummte als ein Zittern durch den Boden ging
„Hmm, Hmmm. So, so.“ machte es wieder, diesmal nicht ganz so dröhnend und in der Nähe der Versammlung.
Ganz aufgeregt scharrten sich die Lichter wieder um einander, die Kobolde verneigten sich zackig und mehrmals nacheinander in die Richtung, aus der das Brummen kam und auch die Strahlenden Männer und Frauen neigten die Köpfe um das Brummen willkommen zu heißen.
„Hmm, hm. So, so. Meine Waldgeister sorgen für Lärm und machen die Tiere unruhig.“ Nach einer kurzen Pause, in der die Versammlung erwartungsvoll schwieg, fügte das Brummen hinzu „Wie immer.“ und zwei besonders ulkige Gestalten aus den reihen der Kobolde duckten sich kichernd zu den Fröschen ins Gras.
“Aber,“ und das Brummen klang neugierig, „alle auf einem Fleck, dass hat man lange nicht mehr gesehen. Mein Setztag kann es ja nicht sein. Will mir denn einer sagen, warum ihr alle gekommen seid?“ Darauf hatte man natürlich nur gewartet und der Tumult begann erneut, hielt jedoch nicht lange an als ein Seufzen durch den Wald ging, begleitet von dem Knarrchen eines alten Baumes, der sich zu strecken versucht.
„Hm, hmmm, nicht so wild, nicht so wild. Iflas, komm her, Baumfreund, und sag mir was passiert, dass alles in Aufregung ist.“
Einer der Strahlenden trat vor und verneigte sich, wie es Prinzen tun, und sprach in einem Singsang melodischer Worte; „Auch uns lockte der Aufruhr an euren Weiher, Belegorn Baumkönig. Schon dachten wir, es sei ein Fest und waren wir nicht geladen, so wollten wir der Höflichkeit entsprechend fragen, wem zu Ehren es gegeben wird. Doch scheint es, euer Wald hat kein Fest, als viel mehr aufregende Botschaft zu ertragen.“
„Soo?“ brummte der Baumkönig.
Die beiden Kobolde, die sich halb versteckt hatten, lehnten aneinander und schnarchten laut. Mit schelmischen Blicken zu den großen Waldgeistern machten es die anderen gleich nach und taten lauthals, als wären sie eingeschlafen. Iflas störte es nicht. Er kannte den eigensinnigen Humor der Kobolde und lächelte darüber, dann fuhr er fort; „Auf unserem Weg hier her schien es aus jedem Gebüsch zu flüstern und es sprachen die Blätter ganz ähnliches, wie wir auch hier von unseren kleinen Brüdern und Schwestern hörten. Und auch wenn die Botschaft so kurz wie unbedeutend scheint, zweifle ich nicht, dass sich dahinter Großes verbirgt.“
Nachdenklich rauschte der Wald ringsum. Wieder knirschte altes Geäst und man hörte das Brummen von Belegorn; „Etwas Großes, ja, ja. So, so. Hm…“
„Ein mancher hier schwatzt gern, und es gehen allerhand Reden um. Eine Drossel aus dem letzen Jahr kommt nicht in unseren Wald zurück und die Quelle unseres heiligen Bachs trägt neue Mineralien herbei. Auf des Rotfels Spitze errichteten die Menschen einen Zaun und ...“ Iflas zählte noch weitere Geschehnisse auf und geduldig warteten die Versammelten. Nein, nicht alle. Die Langeweile war unter den Kobolden mittlerweile unerträglich geworden. Sie trauten sich nicht, dazwischen zu rufen um was es eigentlich geht. Jedem anderen hätten sie sofort ins Wort geschrieen, aber doch nicht vor dem Baumkönig. Als sich die anderen wieder unter leisem Kichern gemeine Streiche spielten, schlichen die beiden Streiche- Meister um die Wiese herum und verschwanden im Schatten, wo auch Belegorn sein musste.
„So?“ dröhnte es da plötzlich. Iflas verstummte und vergaß seine Rede über die drei viel versprechenden Jungbirken die in diesem Jahr wuchsen. Die beiden Kobolde trollten sich kichernd zurück zu ihres Gleichen.
„So etwas… die Zwerge haben sich selten aufrütteln lassen. Und ich sehe keinen in der Runde! Wo ist er denn, von dem alles redet und der selbst so viel spricht?“
Die Versammelten sahen sich ratlos an.
„Nun?“
„Vermutlich dort, wo er stets zu sein pflegt. Am Elbentor, wo der Lärm besonders gut hin dringt und schon seit Stunden Ruhe herrschen sollte! Ihr schreckt ja selbst die Kuhherde im Osten auf.“ Alles drehte sich wie ein Mann dem Zwergen zu der schimpfend aus dem Wald auf die Wiese trottete. Er war fast so breit wie hoch, ein langer Bart lag ihm auf der stolzgeschwellten Brust und über seinen breiten Schultern lag ein Ledercape mit zurückgeschlagener Kapuze. Mit einem gemurmelten Gruß neigte er den nackenlosen Kopf zum Baumkönig hin. „Norno, Alter, hätte ich gewusst, dass man euch so belagern wird, hätte ich keiner Seele etwas gesagt. Bei meinem Bart, so ein Aufstand!“
„Wegen deiner Worte, Freund Laugrimm.“ Das Brummen klang wie ein freundliches Lachen. „Willst du mir denn sagen, was so bedeutend ist? Wir alle sind ratlos.“
Laugrimm sah sich um. Alle Wesen, bis auf Madame Melancholica, die noch immer ungerührt über den Tümpel in die Ferne blickte, rückten näher heran und schauten erwartungsvoll auf den Zwergen. Er war sich vollkommenster Aufmerksamkeit bewusst, und das gefiel ihm sichtlich. Einen dramatischen Augenblick lang wartete er, die Stille wurde unheimlich. Dann raunte Laugrimm auf geheimnisvolle, leise Art und Weise: „Seit ich denken kann, ist mir so etwas noch nicht passiert. Wie immer hielt ich Wache auf meiner Wurzel, und beobachtete die blinden Menschen. Wollt mir gerade ein wohlverdientes Pfeifchen anzünden, als ein besonders kleines Exemplar vor mir stehen blieb.“ Er hob seine mächtige Hand und zeigte mit zwei Fingern auf seine Augen, „es sah mir d i r e k t ins Gesicht! Genau in die Augen! Ich könnte schwören, dass es mich verhexen wollte, und ich rührte mich nicht.“ Seine Rede hatte den gewünschten Effekt, die Wesen zogen erschrocken die Luft ein und hielten den Atem an. „Dann…“ fuhr Laugrimm verschwörerisch fort, „schickte es einen Schmetterling los um mich zu reizen. Ein Niesen, und wer weis, was geschehen wären! Ich knurrte dem Falter eine Warnung zu, die verstand er und der Bann war gebrochen. Das grauenhafte Geschöpf lies es zum meinem Glück bei dem Versuch und verschwand unter Donnergrollen und…“
„Laugrimm, hmm“ brummte Belegorn langsam und unterbrach den Zwerg. „Ich glaube, du lässt dich hinreißen, Ja, ja.“ Dann schwieg er lang und mit ihm alles andere.
Nun, wo die Wesen wussten woher die Unruhe kam wurden alle sehr nachdenklich. Einige meinten auch, sie haben genug gehört und verließen die Wiese mit ihren eigenen Gedanken zu dem, was sie von Laugrimm hörten.
Es war mittlerweile dunkel geworden, nur wenig Licht spendeten die kleinsten der Waldgeister. Laugrimm blickte von einem zum anderen und wurde unsicher, ob er mit seiner Geschichte nicht doch zu sehr übertrieben hatte. Iflas, der noch geblieben war lächelte ihm zu, war jedoch auch mit seinen Gedanken beschäftigt.
„Ach “, seufzte da endlich der Baumkönig, „die Kinder sehen uns doch schon lange nicht mehr.“
„Ach…“ machte auch Madame Melancholica und eine Träne rann ihre blasse Wange hinab, perlte von ihrem Kinn und versank geräuschlos im Teich.


Tobias starrte an den mächtigen Steinsäulen empor. Er war durch und durch beeindruckt wie hoch etwas sein konnte das gleichzeitig so alt und instabil aussah wie diese Brücke mit ihren verschwenderischen Hohlräumen. Ob es wohl hier drinnen schallt?
Die hellen Steine waren ungleichmäßig beschlagen und wahllos zusammengefügt -Steine? Nein, das waren ganze Felsen.- Tobias schätzte, dass es gut etwas zwischen zwanzig- vierzig Metern in die Höhe ging bevor die Säulen breiter wurden und in einer kunstvollen Wölbung den Kopf der jeweils anderen berührten. Er hatte ein ungutes Gefühl, als er die Steine weit über sich betrachtete. Es war nur Mörtel, der die Felsbrocken dort oben hielt. Kein verlässlicher Stahlträger stützte die Steinmassen und nichts würde sie aufhalten, wenn sie sich genau jetzt entscheiden würden hinab zustürzen. Hatte er nicht unter dem Bogen zu seiner Linken, dort wo kein Weg mehr war, sondern der Bach durchfloss, ganz ähnliche Steine im Gestrüpp liegen sehen? Tobias beruhigte sich mit dem Gedanken, dass die Brücke schon seit vielen hundert Jahren hier stehen musste ohne, dass ein Stein herunter gekommen ist. Und wäre sie vom Einsturz gefährdet, wäre sie keine Zugbrücke mehr. Und hätte er etwas zu befürchten, hätte ihn spätestens die Großmutter gewarnt, so wie sie es ausführlich getan hat, bevor er allein –bewaffnet mit einem belegten Brötchen und zwei Äpfeln- in das Tal gehen durfte. Ein kleiner Ruf würde das mächtige Bauwerk auch nicht schockieren. Er prüfte mit einem kurzen Blick links und rechts ob Leute den Weg hinauf kamen, dann holte er Luft. Was sollte er rufen ohne, dass es groß auffiel? Hallo! Hallo war gut, und vor allem unverfänglich. Wenn ihn doch einer hören würde, hätte es ja alles Mögliche und jeder andere sein können. Es kostete ihn noch einen Moment der Überwindung, dann rief er leise: „Hallo?“
Kein Schall, kein Echo. Die Akustik war ein wenig seltsam, befand er, aber sein zurückhaltendes Hallo hatte nicht die gewünschte Wirkung.
Da noch immer keine Wanderer in Sichtweite waren, war ein zweiter Versuch nur recht. Tobias legte den Kopf in den Nacken, holte Luft und rief laut „Haaal,“ Weiter kam er nicht. Je lies ihn ein beunruhigendes Rumpeln verstummen. Es kam ungehörig schnell näher. Mit offenem Mund erstarrte er und seine Augen schnellten nach allen Seiten. Was zum Henker war das? Da hupte es lautstark über ihm und beruhigt lies er Kopf und Schultern sinken: Es war nur der Zug der mit viel Getöse über die Brücke rauschte und alles andere bis auf sein verhallendes Echo übertönte. Im Rattern und Quietschen der Gleise klang es wie ein ferners Flüstern, ein paar Mal hörte Tobias das leiser werdende „Hallo“. Stirn runzelnd fragte er sich, warum es so heiter klang, war jedoch so zufrieden über sein Echo, dass er nicht weiter darüber nachdachte.
Vom Zug hörte man nur noch, weit weg, ein erneutes Hupen, dann war wieder die übliche Stille im Tal. Ferien auf dem Land konnten ja so langweilig sein...

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