Die Reiche Aars

Eine, noch lange nicht vollständig erschlossene, Fantasiewelt die durch allerhand Kurzgeschichten mehr und mehr von sich und ihren Bewohnern preis gibt.


Fallstar

Mit dem Aufwind, der stets um die Aeglos Feste zu herrschen scheint, schwang sich ein Falke in die hohen Lüfte. In vollem Vertrauen an die Urgewalten legte er seine Schwingen auf die Strömung der Luft und lies sich treiben, bis der Wind seine Richtung verließ. Hinauf wollte er, weiter an das Himmelsgestirn als die Spitzen des Bergklosters ragen. Er schraubte sich empor und kreischte jubilierend als er die letzte Turmzinne hinter sich ließ. Die dünne Luft wäre für keinen Menschen mehr ausreichend gewesen, auch er musste sich geschlagen geben nach dem er sich länger, als gut für ihn war, im wilden Flügelschlag oben hielt, und stürzte sich wieder in die Tiefe, auf die ewigen Schneeebenen zu. Ein Zuschauer hätte meinen wollen, dass ein Stein vom Himmel fiel als Fallstar, mit eingezogenen Schwingen und in rasanter Geschwindigkeit auf die Ebene zurauschte, doch als er den Fuß der Aeglos Feste hinter sich lies, spreizte er die Federn und ließ sich in Schräglage vom Aufwind abbremsen und in einer geschmeidigen Kurve wieder aufwärts tragen.
So weit hinaus war er bei seinen waghalsigen Versuchen bisher nie gekommen, und mit stolzgeschwellter Brust lies er sich auf einem Eisbaum, nah der Tore zur Festung, nieder. Was man alles von dort erblicken konnte war beeindruckend. Allerdings bevor einem schwarze Punkte vor den Augen erschienen. Wieder und Wieder wäge er die Frage ab, ob er tatsächlich das Östliche Kliff und das dahinter liegende Meer erspäht hatte und kam zu dem zufriedenen Schluss, dass die blaue Wölbung am Horizont mehr als eine Sinnestäuschung gewesen war.
Das metallische Dröhnen holte ihn aus seinem Gedankenflug zurück und lies ihn zur Festung blicken. Die Tore schwangen auf und ein Zug weis gewandeter, hoch gewachsener Frauen traten in geordneten Reihen heraus dicht gefolgt von einer kleinen Gruppe Kriegerinnen die ihren Vorgängerinnen an Anmut und Grazie in nichts nach standen. Fallstar wusste, dass es nun Zeit war sich von der Aeglos Feste, dem wohl höchsten Punkt der Erde, zu verabschieden denn die Shellaijs zogen aus. Doch es fiel ihm schwer…

„Euer König erbat unser Kommen. Haltet ihr es nicht ebenso für angemessen, voraus zu gehen und seines Ersuch Bestätigung zu überbringen?“
Seufzend schüttelte der Jüngling den Kopf und ließ, wenn auch unter dem dicken Mantel kaum ersichtlich, die Schultern hängen. „Gewiss, gewiss, Euer Ehrwürden. Und doch muss ich darauf bestehen, euch bis nach Tel Live zu begleiten. Es ist eine Sache…“ Er zögerte und wich dem Blick der eisblauen Augen vor ihm aus „… eine Sache des Anstandes. Ihr wisst doch, wie es so ist mit den Menschen“ mit einem kleinlauten Lächeln hoffte er der Krieger-Shellaij Verständnis zu entlocken.
„Ja, das wissen ich und meine Schwestern gut, junger Fallstar.“



Taree at Tantahnas

In dem ruhigen Städtchen Corwarg zur Grafschaft Ligslag der Krone von Dislg, in Zeiten der zweifelhaften Friedensherrschaft des Heerführers Ligslage, unter der Gnade König Hemingway IV, trug es sich eins zu, dass obig genannte Ruhe empfindlich gestört wurde.
Corwargs Einwohner waren seit jeher gesitteter Natur. Was sich nicht ziemte wurde nicht gesehen und keiner hörte etwas davon. Man finanzierte sich prächtig aus dem Holzhandel der geografisch gesehen, die besten Vorraussetzungen bat gewaltig zu florieren. Genannter Heerführer, seine Lordschaft Graf Ligslage, gedachte zu der Zeit, die Wälder Corwargs gewinnbringender zu nutzen, und den Aufbau seines Sitzes zu Ligslag im Ganzen zu fördern. Durch das Verbot, mit dem gewonnenen Material über die Grenzen des Reiches hinaus zu handeln, kamen die Bürger und Arbeiter Corwargs in Bedrängnis, denn die Abgaben an seine Lordschaft waren enorm, und die besser zahlenden Händler aus dem Osten blieben aus.
So die Lage jener Zeit, in der die Stadt, in ihrem stillen Erdulden und sturem Wegsehen, widerwillig zu Leben erwachte.

Ein junger Mann in auffallend düsterer Kleidung unterhielt am Rande des anschaulichen Marktplatzes eine Gruppe von Kindern und ihren Müttern. Sein flottes Spiel auf einer silbernen, unscheinbaren Flöte ließ die Kinder strahlen und die mutigsten unter ihnen tänzelt herum. Selbst unter den Frauen, die allesamt gnädig lächelten, wippte die eine und andere mit dem Fuß zum Takt. Klirrend fielen ein paar Bronzemünzen in den metal geschlagenen Becher vor des Flötenspielers Füßen. Er lehnte an der Mauer eines Herrschaftlichen Hausen, hielt die Flöte schräg an seine Lippen und die Augen wären des Spielens in Hingabe geschlossen.
Es ist nicht ganz klar, was, und warum es geschah, doch als hätte die gesamte Marktbesetzung auf einen bestimmten Zeitpunkt gewartet verflüchtigten sich die Leute, Mütter zogen ihre Kind fort und verschwanden in Gassen und Häusern, Händler packten eilig ihr Hab und Gut. Allein der Flötist blieb zurück, unterbrach sein Spiel nur um sich auf das Mauerstück zu hieven. Lässig hing ein Bein in der Luft, das andere zog er an. Mit einem Blick empor prüfte er, ob es Regen geben würde und streifte sich achselzuckend die Kapuze seines ledernen Capes über. Dann nahm er sein Spiel wieder auf. Nicht so flott, und kaum so fröhlich wie zuvor , zwei tiefe Töne vibrierten eine Weile über den leeren Platz, wurden abgelöst von einer höheren Tonfolge und verloren sich in einem lang anhaltendem Halbton der so traurig klang wie sein Dasein war. Es wiederholte sich, leiser werdend, ging unter in dem Klang schwerer, marschierender Stiefel; die Stadtstreife näherte sich und hinter der Mauer auf der jener Mann saß wurden Fensterläden krachend zugeschlagen. Er tat sich keinen Abbruch, öffnete nicht einmal die Augen um dem seltsamen Geschehen einen Blick zu würdigen als zwei Abteilungen purpurner Soldaten, die Farben Ligslages, aus gegenüberliegenden Straßen den Platz erreichten. Sie waren in zwei perfekte Quadrate formiert, vier Mann in jeder Reihe, schräg hinter dem Stadtbrunnen gingen sie in Position und verharrten mit starren Blicken gerade aus, zum vermeidlichen Spielmann. Sah man genau hin konnte man einige Kehlköpfe auf und nieder gehen sehen als sich die Männer seelisch darauf vorbereiteten, was folgen sollte. Kurz verständigten sich die Rangobersten aus den Kompanien, „Ist er das?“,
„Ein Bettler ist das dort nicht.“,
„Legen wir los.“
Der erste Trupp von sechzehn Mann setzte sich in Bewegung, beim Überschreiten des Platzes bellte der Oberst warnende Befehle dem scheinbar teilnahmslosen Flötisten zu. Als ein Name fiel setzte er die Flöte ab und besah sich die Kompanie aus schmalen Augen, unter der Kapuze hervor. Der Oberst wusste nun, dass sie es auf den Richtigen abgesehen hatten. Die Kompanie hielt an, keine Zehnschritte vor der Mauer.
„Taree at Tantahnas, “ sprach er mit allem aufzubringendem Schneid, „auf Befehl Graf Ligslage zu Ligslag seid ihr unter Arrest gestellt, ergebt euch Widerstandslos, und es soll Euch zu gute kommen!“
Spöttisch zuckten Tarees Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln, er zog die Brauen empor, nickte anerkennend. Schnell ging sein Blick zu der zurückgebliebenen Kompanie und schätze die Stärke der Mannen insgesamt ein. Zweiunddreißig. Ein trauriges Schauspiel.
Es war nicht mehr als eine kleine, anmutige Bewegung des rechten Armes und ein Stöhnen ging durch die Reihen die unwillkürlich zurück wichen, „Ergreift ihn!“, keuchte der Oberst wütend und Männer die sich schützend die Arme vor Mund und Nase hielten, zogen die Schwerter und stürmten mit tränen vergangenen Augen nach vorn. Mit einem Satz stand Taree auf dem Boden, schwang erneut eher nachlässig die Hand, die ersten Soldaten fielen unter erstickten Lauten nieder und verstummten kurz darauf, auf ewig. Der todbringende Wind erreichte die zweite Kompanie nicht so gezielt, jene wurde zum Vormarsch gedrängt, Schwerter wurden gezogen und Kommandos gebrüllt. Taree entzog mit der Linken der umgebenden Luft alle Wärme, die Hand schien zu brennen. Mit der Rechten löste er einen stumpfen Stab unbestimmbaren Materials aus der Halterung zwischen seinen Schultern und zog ihn d u r c h zwei nah getretene Soldaten. Mit einer flüssigen Bewegung lies er das Feuer seiner Linken auf drei weitere los, unter Wut und Schmerzen schrieen sie auf, einer fiel brennend zu Tarees Füßen. Den Stab mit beiden Händen ergriffen entledigte er sich der nächsten Angreifer, der zweite Trupp umringte den Magier und setzte alles auf die eigene Überzahl, man durfte sich nicht von den Verletzten ablenken lassen, schon wurden die Soldaten zu seiner linken wieder zurück geworfen, der giftige Wind lies sie unter Keuchen erschlaffen, die noch standen wurden nieder gemäht. Die nächsten rückten vor um den Wahnwitz Nahrung zu geben. Mit kreisenden Bewegungen hielt Taree die Angreifer auf Abstand, wurde nun jedoch stürmischer, härter bedrängt als zu vor. Die Männer gerieten in Panik und einige handelten instinktiv. Wie von Raserei gepackt verloren sie alle Vorsicht und stürmten auf den einzelnen Kämpfer ein, bis ein anderes Bild ihre Konzentration teilte; einige ihrer Kameraden fielen mit Pfeilgespicktem Rücken zu Boden. Die wild gewordenen Soldaten ließen sich von dem plötzlichen Kriegschrei einer Frau nicht irritieren, Taree jedoch lächelte listig und hielt kurz nach dessen Ursprung Ausschau; da war sie, seine Begleiterin und Schutzbefohlene in ländlicher Männerkleidung und schützendem Tuch vor dem Gesicht. Geschmeidig zog sie einen besseren Dolch durch den Hals eines Soldaten, den Bogen hatte sie achtlos fallen gelassen. „Tantahnas“, schrie sie wütend über die Köpfe der übrig gebliebenen hinweg, „ das wirst du bereuen! Hinter dir!“ und schon sickerte Blut aus der Kehle des Nächsten. Taree durchbohrte den Angreifer hinter sich ohne einen Blick an ihm zu verschwenden und schleuderte zwei Soldaten lässig von sich. Die Frau wich unter dem grünlichen Wind aus. In nahezu eleganter Drehung durchtrennte sie das Leder eines Soldatenstiefels mit samt dem Gewebe darunter. Der Soldat ging, Gesichts voran, vor Taree zu Boden. Plötzlich war Stille. Der Atem des Magiers ging schnell, die Verschlagenheit wich ihm aus dem Gesicht und verhärtet lies er den Blick auf dem letzten der Soldaten ruhen. Seine Begleitung überschaute kurz den Platz, knüpfte dann das Tuch am Nacken auf und gab den Blick auf ein blasses, sanftes Mädchengesicht frei, deren Lippen jedoch verbittert aufeinander gepresst waren. „Bring es zu ende, oder sein Herr wird es tun.“ Waren ihre Worte, dann drehte sie ihm den Rücken zu und zupfte reinlich an ihrer Kleidung.
Taree schloss die Augen, und als er tief die schwere Luft einzog und langsam wieder ausließ machte der Mann am Boden seinen letzten Atemzug.
Der schöne, Blumenumringte Marktplatz war in kürzester Zeit zu einem Schauplatz des Todes geworden. Welche nicht erschlagen vor dem Herrschaftlichen Grundstück lagen, an dem das Spiel begann, hatten sich unter Aufbringung letzter Kräfte davon geschleppt und lagen vereinzelt, in gekrümmter Haltung und mit verzerrten Gesichtern, auf den Pflastersteinen. Selbst am Brunnen lehnte einer der dem Wind des Magiers entkommen wollte. Die Büchse war fort gestoßen und ihr kläglicher Inhalt lag verstreut. „So eine Verschwendung,“ murmelte Taree und schien beide Umstände zu meinen.
„Ich hätte wissen müssen, dass es nur der Ablenkung diente. Du bist ein elender Schuft!“ die junge Frau ging scheinbar achtlos über die Leichen hinweg und schwang sich auf die Mauer, um wie Taree zuvor Platz zu nehmen. Die Flöte lag vom Geschehen ungerührt dort, wo er sie gelassen hatte und wurde nun von seiner Begleiterin lieblos in die Hände genommen.
„Nun, Baroness? Es war doch ein prachtvoller Auftakt.“ sprach Taree lächelnd und nahm ihr vorsichtig das Instrument aus den Fingern. „Hätte ich natürlich gewusst, dass ihr an dem Tänzchen teilhaben wollt, wäre mir selbst redend daran gelegen gewesen, die Soldaten auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten.“
„Du spottest!“
„Mit nichten… Was ergab sich mit euren Rebellen, my Lady?“
„Sie werden sich bei Rivlag sammeln.“
„Warum ausgerechnet dort?“
„Tantahnas, das ist m e i n e Angelegenheit. Außerdem gibt es dort für die Obrigkeit nichts zu holen… Für unsere Strategie geradezu ideal!“
„Dem kann ich nichts entgegensetzen.“
„Aus Wellbrock werden die ehrlichen Bürger nun auch schon getrieben, wenn sie schnell genug sind. Es ist Irrsinn, Tantahnas. Es muss endlich zum König gelangen…“
„Baroness Vivian, sagt, wohin wollt ihr euch nun wenden?“
„Nachdem du dich ohne mein Wissen um diese Angelegenheit hier gekümmert hast, will ich nun nach Rivlag nachziehen.“ Sie schob provokant das Kinn vor und warnte mit ihrem Blick auf Taree hinab vor Widerspruch. Er grinste und nickte scheinbar zur Zustimmung. „Gut, gehen wir nach Wellbrock.“
„Das werden wir nicht! Nach Wellbrock gelangt kein Bote, wie soll ich die Mobilisierung überwachen? Wir gehen nach Rivlag und tun endlich, was getan werden muss!“
„Darf ich euch erinnern, dass es e u e r ausdrücklicher Wunsch war, wären ich euch nach Dislag eskortiere, meinem gewählten Weg zu folgen? Außerdem, meine arme, kleine Herrin, sind wir hier ohnehin noch nicht fertig…“ Er blickte über die Schulter auf das Schlachtfeld und der standardgemäße Streit um den einzuschlagenden Weg trat vorerst in den Hintergrund. Mittlerweile wurden Fenster und Türen zögernd geöffnet, doch kein Bürger wollte sein Haus verlassen und vielleicht sogar noch etwas mit dem Geschehenem zutun haben. Unvorstellbar.
Mit einer gewissen Kaltblütigkeit gingen das merkwürdige Gespann vor, die Toten nach Nützlichem zu durchsuchen, man überlies es den Einwohnern, sich ihrer zu entledigen. Die beiden Befehlshaber durchstach Taree mit ihren eigenen Schwertern, lehnte sie neben dem Ersticken an den Brunnen und erbat leise Verzeihung, dass sie diejenigen waren, die es erwischten musste.



Brief an Herzog Korulin


Sal Vena, 3971

Lieber Freund,
ich erbitte Vergebung um mein unzugängliches Verhalten letzter Nacht. Seid Euch im Klaren, dass meine Bitte eine Ausnahme darstellt, und ich mich nicht in jener Position befinde, in der irgendein wandelndes Wesen Rechtfertigung von meiner Person verlangen könnte.
Ihr jedoch habt es euch verdient von mir Erklärung, so wie uneingeschränktes Vertrauen zu erhalten als Beweis, dass ich Euch an meiner Seite schätze wie keinen vor Euch.
Ihr seid noch jung, doch vertraue ich auf Euren Verstand als auch auf euer Herz, wie Ihr es nennen würdet, um folgende Zeilen zu begreifen und Schlüsse daraus zu ziehen mit denen ihr nach gut Düngen umgehen möget.
Meinem ungewollten Geständnis sei einiges hin zugefügt, auf, dass Ihr nicht auf einem Urteil beharrt, das von meiner Wut geschürt, ein falsches ist. Ich werde weit zurückgreifen müssen, in eine Zeit viele Generationen vor euch. Lest und erfahrt, was ihr nie erfahren solltet und Henkers Beil über unsere Freundschaft hält.

Schon als Kind empfand ich tiefe Bewunderung für die so genanten Shellaijs, engelhafte Wesen mit der Macht von Göttern, den Körpern junger Frauen und den Kampfgeist von Männern. In unserem abgelegenen Dorf suchte man Zerstreuung in den Sagen und Geschichten über die alten Tage in denen die Shellaijs, allen Orts und selbstverständlich, Seite an Seite mit den Menschen lebten –und Kämpften. Für den ungeschulten Verstand junger Menschen sind diese Geschichten wie angenehme Träume über Abenteuer, Ruhm, Herrlichkeit. Ich sog jene Sagen wie Nahrung in mir auf. Mit jedem Tag wuchs die Sehnsucht danach, diesen Engeln zu gleichen und mag man mich auch verurteil für das was ich heute bin, weis zumindest ich, dass ich keine Wahl hatte als jenen langen, dunklen Weg zu nehmen, um den Wahnsinn zu umgehen der unweigerlich auf solche Sehnsucht folgt, vermag man sie nicht zu ersticken.
Meine Mutter war es die bemerkte, dass es nicht bloße kindliche Begeisterung war mit der ich meinem red-närrischen Vater lauschte und verbat es ihm schließlich, mir solche „Flausen“ ins Ohr zu setzten. Ich bin ihr heut dafür auf merkwürdige Art dankbar, immer hin hatte sie es wenigstens versucht…
Ich war sechzehn, oder siebzehn Jahre alt, als unser Dorf hohen Besuch bekam. Irgendeine Hoheit zog durch das Land und in seiner Begleitung war eine jener Engel aus meinen Träumen. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Shellaij übertraf in ihrer bloßen Erscheinung sogar noch meine einfache, kindliche Vorstellung jener schönen Rasse und der Damm, den mir meine Mutter so sorgfällig um die schmerzhafte Sehnsucht errichtete, zerbarst.
Es war nicht schwer, ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Die Shellaij schien sich nicht gern in dem Haus auf zu halten, in dem ihr Begleiter zeitweilig hof hielt und da ich die Umgebung kannte, die sie mehr zu interessieren schien als die Dorfbewohner, war ich irgendwie stets in ihrer Nähe. Erst heute fällt mir auf, dass ich sie nie habe sprechen hören. Es genügte mir völlig, sie anzustarren und, wie einst die Geschichten, jede ihre Bewegungen in mich auf zusaugen. Alles was sie tat erschien mir schön und sonderbar, obwohl ich nun nicht sagen könnte, was sie noch tat außer durch den Wald und über unsere Felder zu streifen. Es verhält sich seltsam, mit solcherlei Bewunderung… Ich liebte sie. Und zu der primitiven Liebe gehört die Eifersucht, die ich eben so schmerzhaft empfand wie meinen Sehnen als der Fürst, oder welchen Titel er auch immer trug, samt Gefolge wieder abreiste. Es war mein erster Schritt, ob richtig oder falsch, das obliegt einer höheren Instanz zu entscheiden, mein Freund, nicht uns.
Mir war, als müsse ich zerreißen. Die einen lassen sich dadurch krank machen. Im Laufe meines langen Lebens sah ich viele die auf die seltsamsten Ideen kamen, um der Sehnsucht Herr zu werden. Am zahlreichsten sind die Abgestumpften, die ich allzu oft um ihre Scheuklappen beneide. Dichter, die Ängste und Glück in Ferse fasten, Künstler, die ihre zerrissenen Herzen mit bemalten Leinen flickten und zu letzt die Träumer, die man oft fälschlicherweise mit jenen Abenteurern verwechselt die auch den dreckigsten Dienst für Gold ausführten. Mein gewagter Schritt führte mich zu letzterem. Nicht lang nach der Abreise der Shellaij floh ich von meiner Familie, verließ das Dorf wie einen Dieb und fühle mich noch immer wie einer, der den Eltern die einzige Tochter nahm. Doch ich hatte die Kraft dazu, den Mut, im Gegensatz zu anderen, das Leben zu suchen das ich mir so innig wünschte. Natürlich war mir klar, das ein Mensch nie zu ihnen gehören könnte, doch redete ich mir ein, dass es genüge sie zu sehen, diese Kriegsengel, um mich auf ewig glücklich zu schätzen… Ewigkeit. Wie leichtfertig benutzt man doch dieses Wort in der kurzen Jugend.
Was dann geschah ist unwichtig. Was einem jungen Mädchen widerfährt das allein, in romantischen Vorstellung und ohne jeden Sinn für die Gefahren der Welt, über die Diebespack besetzten Handelsstraßen wie Freiwild schlendert ist nicht Kern dieser, meiner Geschichte und, wie ich erwähnte, unwichtig. Damals verlor ich, mehr noch als durch Mutters Verbot, den Glaube an meine Träume und es gingen einige Jahre ins Land bis ich wieder die Zeit fand, mich zu besinnen und mir den Grund ins Gedächtnis zu rufen, weshalb ich überhaupt das unbeschwerte Leben aufgab. Damals schon sah ich mit einer gewissen Ironie auf die Dinge. Es gibt Geschehnisse, die stumpfen einen ab. Es sei erwähnt, dass ich es zu den gewünschten Scheuklappen jedoch nie gebracht habe.
Es war wieder Zeit zur Flucht vor den Leuten an die ich geraten bin. Zu meinen Gunsten, im Übrigen, denn die zwielichtige Gruppe wurde bald darauf aufgerieben und man hätte mich nicht mehr als Opfer, sondern als dazugehörig erkannt… Ich hätte wohl nachhause gehen können. Zurück ins Dorf, und um Vergebung bittend wieder ein Teil deren Leben werden können. Und ich spielte mit dem Gedanken, da es mir vernünftig erschien und mein Verstand sagte mir, dass es töricht wäre wie einst, einem Hirngespinst nach zulaufen, denn die harte Wirklichkeit würde mich ein zweites Mal einholen –und überrumpeln. Doch auf dem Weg der, glaube ich, in Richtung Heimat führte geschah mir etwas ganz und gar unwirkliches: Es war nicht die Tatsache, dass eine Gruppe junger Edelleute ganz ohne Dienstboten reisten, die mich stutzig machte, auch nicht, dass mich alle freundlich, ja freudig, als Wegbegleitung begrüßten, obwohl ich aussah wie ein Gauner im Wald –welcher ich mehr oder weniger auch war- Es war, dass alle die gleiche blass fahle Haut besaßen und mir ihre Stimmen oft wie Zischeln in Ohren nach klang, ich kein Wort verstand, obwohl sie in der gemeinsamen Sprache redeten. Ich wurde stutzig, aber selbst die Jahre auf der anderen Seite der Waldwege haben mein Gespür für Gefahr nicht viel schärfer werden lassen. Sie reisten in meine Richtung, wohin war mir egal. Ich fragte nicht viel –was ich hätte tun sollen- sie dafür um so mehr und insgeheim genoss ich die Aufmerksamkeit und Neugier die mir diese scheinbar jungen, wohlhabenden Leute entgegenbrachten. Sie hatten reichlich Wein und Nahrung und die Bequemlichkeit löschte wohl auch den einzigen und letzten Klang einer Alarmglocke in mir.
Interessant wurde es an einem Abend, bei der zweiten oder dritten Rast, als ich ein Gespräch zweier Männer aufschnappte. Wie Philosophen standen sie an einer der Kutschen und führten, beide mit gnädigem Lächeln in den Gesichtern, ein Streitgespräch über die Shellaijs und ihre Kampfkünste, so weit ich mich erinnere.
Jenes Gefühl der Bewunderung stieg damals in mir auf, das ich bei Euch oft beobachten konnte.
Die Herren klangen für mich sehr gebildet, und was war ich erschrocken als sich der eine zu mir umdrehte und mich mit seinem gütigen Lächeln nach meiner Meinung fragte. Ich gab zu, dass ich nicht viel von ihnen wusste, dass ich vor langer Zeit einer Shellaij begegnet bin und sie trotz langer Beobachtung nie kämpfen sah. Darüber geriet ich ins Schwärmen. Das Lächeln der beiden wurde spöttisch und sie führten ihr Gespräch fort, ohne mich weiter zu beachten. Ja, diese Szene hatte sich mir eingeprägt denn ab diesem Zeitpunkt wurde mir die Mitreise zunehmend unangenehm. Sie machten keine Anstalten, mich fort zu schicken, jedoch, gerade unter den Damen, wurde es ihnen wohl zum Vergnügen von mir die Sinnlosesten Sachen zu erbitten. Plötzlich hatte man dreckige Kleidung die es zu waschen galt, so wie Geschirr. Unrat musste entsorgt, Gepäck von einer Kutsche in die andere geladen werden. Zu jener Zeit hatte ich noch ein Gewissen und Undank war mir zuwider, schließlich haben mich diese seltsamen Menschen lang genug ohne Dank verköstigt. Jedoch sind mir diese alltäglichen Handgriffe zuvor bei keinem aufgefallen. Mir kam der Gedanke spät, dass mich lediglich schikanieren wollen und als ich mich schließlich lauthals beschwerte, wurde ich zum Gespött. Es waren fast ein dutzend gut gekleideter, überheblich dreinblickender junger Leute aus denen die Gruppe bestand, und alle waren mit einemmal versammelt, spotteten unverhohlen. Natürlich war ich überrascht, mehr noch, völlig verstört trifft es am besten. Träumerin, nannten sie mich, blindes Menschlein, spuckten sie förmlich aus, was ich damals nicht verstand. Sie hatten mir noch einiges zu sagen, doch das war nicht dermaßen einschneidend. „Was wollt ihr von mir?“ fragte ich in meiner Naivität, und Gelächter wurde laut. „Dann reise ich lieber allein und verlass euch jetzt sofort“ Das hatte sie natürlich schwer beeindruckt. So sehr, dass das Gelächter gar kein Ende nahm. Wie ungern erinnere ich mich daran. Sie machten mir meine Situation allzu deutlich. Es würde nicht nachhause gehen, und ich würde nicht allein reisen. Sie reisten in meine Richtung, wohin, das würde ich zur rechten Zeit erfahren.

Ich muss zugeben, dass nun selbst ich die Gefahr erkannte, nun wo es zu spät war und sie mir schmerzhaft demonstrierten, dass schon der Gedanke an Flucht lächerlich war. Es waren keine schlichten jungen Edelleute, die verrückt genug waren, ohne Geleitschutz zu reisen. Es waren ewig junge, die es nicht nötig hatten Geleitschutz zu fordern. Höchst als Proviant, dazu jedoch später.
Soweit ich mich erinnere ging die Reise noch einige Tage bis wir die bewaldeten Gegenden verließen und auf die Steppe von Ur kamen, dem Grenzgebiet der Erschlossenen Reiche im Süden, das ich damals nur vom Hören Sagen kannte. Zu jener Zeit war diese Region noch lange nicht „erschlossen“, doch im Namen Aars versuchte man weiter in den Süden vorzudringen. Wirklich, eine ehrenhaft Mission… Ich schweife ab.
Bald sah ich eine eindrucksvolle Gebirgskette vor uns, die Felsen der Neus wie man das Gebirge heute noch nennt. Ich wusste, an meiner Situation würde sich nichts ändern bis wir es erreicht hätten. Etwas sagte mir, dass dort das Ziel dieser Leute liegt und über dieses Wissen machte ich mir lange Zeit Gedanken, später wusste ich diese, nennen wir es Voraussicht, zu trainieren. Wie ich erwähnte, hatte ich bis dahin kein Gespür für Kommendes.
Meine Vorahnung bestätigte sich, unsere Reise endete am Fuß der Neus. Es war ein umstrittenes Gebiet und eines jener primitiven Steppenvölker, von denen unter Aar so viele ausgelöscht wurden, soll es Heimat genannt haben. Ich sah nie einen Menschen jener Völker, denn nicht allein unsere Armeen sorgten für deren Dezimierung und schlussendliche Ausrottung, auch ein merkwürdiger Kult, der sich dieser Tage höchsten Interesse erfreute, trug wesendlich dazu bei, dass die Steppe von Ur heut nicht mehr jene Kulturenvielfalt aufweist wie einst.
Es war ein liebliches Dorf, dessen Lehmhäuser dem Felsen kaum unähnlich waren und sich ästhetisch auf das Vorgebirge schlängelten wo sie zu Höhleneingängen wurden und wie über die Steppe wachende Augen ein Bauwerk umrahmten das zu dieser Zeit noch nicht vollendet schien und doch schon sämtliche andere Gebäude an Höhe und Breite übertraf. Chzak Ur.
Ihr findet es nicht mehr auf den gängigen Karten, jedoch in Herzog Gar Venas Residenz könnt Ihr Einsicht in antiquierte Aufzeichnungen erhalten.
Dieser unfertige Palast, dem man diesen Südländischen Namen gab, war Herz und Hochburg des oben angesprochenen Kults und meine Gefangennahme sollte mich direkt vor den Thron der führenden Kräfte bringen. Jedoch hatte ich vorher das Vergnügen, einige Tage die Hitze einer verriegelten Lehmhütte auszukosten. Jene vermeidlichen Edelleute sah ich nie wieder. Ich vermute, die sprachen bei ihren Obrigkeiten vor und zogen weiter um andere Existenzen wie mich aufzugreifen. In meiner Hütte hatte ich genügend Zeit mir allerhand Gedanken zu meiner Lage zu machen, über dies auch zu einer möglichen Flucht. Es waren, soweit ich durch die Ritzen der lockeren Holztür erkennen konnte, keine Wachen postiert und das treiben auf der Staubigen Straße glich ganz und gar dem normaler Dörfer. Glaubte ich.
Ein Mädchen in meinem Alter brachte mir am ersten Abend Wasser und ich wollte die Gelegenheit nutzen etwas über den Ort zu erfahren. Mit aller mir derzeit möglichen Freundlichkeit hoffte ich, sie für ein Gespräch zu gewinnen, doch ihr kühles Lächeln, und nicht weniger ihre müden, leeren Augen ließen mich bald verstummen. Es war nicht der Blick eines Menschen, dessen Horizont nicht über sein Kartoffelfeld hinausging, sondern schien er betäubt, wie im Rausch beruhigender Mittel, was mir damals noch völlig unbekannt war. Am Folgetag war es wieder sie, die Wasser und einen geschmacklosen, mehligen Brei brachte. Ich sollte es vielleicht nicht erwähnen doch um meine Lage zu verdeutlichen sei gesagt, dass ich vor Schmach beinah verging als sie mit einem zufriedenem Nicken feststellte, wo ich meine Notdurft verrichtete. Wen die Natur rief, rief sie. Und ich hatte nur das Wasserschälchen….
Am Nachmittag dann, als der Schatten der Neus auf das Dorf viel, schaffte ich es endlich ihr ein paar Worte zu entlocken. Ich fragte sie, so glaube ich, nach der Zusammensetzung des Breis und was seinen einzigartigen „Geschmack“ ausmacht und so spotteten wir kurz gemeinsam über diese Substanz bis ich sie fragte, ob man im Palast das gleiche auftrug. „Nein, sie haben besseres“, war ihre knappe Antwort und ihr Blick, der plötzlich gar nicht mehr benebelt schien, lies mich schaudern. In Eile verließ sie mich wieder und ich bildete mir ein, ein Thema gefunden zu haben wie ich ihr eine Regung entlocken konnte.
An diesem Abend blieb der Besuch aus und ich schlief in Hunger und Furcht ein, jedoch nicht lang denn das Knarrchen der Tür weckte mich und das Mädchen stahl sich in mein Gefängnis. Sie hätte ihre Pflicht nicht vergessen, sagte sie mir, und war bis eben verhindert. Es war lächerlich von ihr, sich zu entschuldigen und es gab mir das Gefühl, das mehr dahinter steckte. Ich ließ sie ihre Arbeit tun und war hin und her gerissen, etwas zu sagen, oder schweigend zu erdulden. Schließlich sprach sie und nahm mir die Endscheidung ab.
„ Du darfst dich nicht beklagen über das Essen. Wir hatten schon andere, die waren den Heeren zu vorlaut, und es dauerte nicht lang da sahen sie aus wie leere Wasserschläuche. Das sagt man doch so?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Oh…Nun, bald wirst du hier raus kommen, wenn es Ihnen so gefällt.“
„Wem?“
„Das musst du doch wissen…“
„Nein. Ich kenne hier niemanden und mit mir spricht keiner. Wie heißt du zum Beispiel?“
„Das muss dir nichts bedeuten, ich glaube nicht, dass wir uns lange kennen werden.“
„Siehst du? Ich weis nichts von hier. Gerade einmal, dass es hier nicht sehr wohnlich, und das Essen widerlich ist.“
Sie setzte sich an der Tür auf den Boden und machte den Eindruck, bleiben zu wollen. „Du weist schon mehr... Marish. So kannst du mich nennen.“
„Was sollt ich denn wissen, Marish?“
„Warum stellst du dich so an, bist du blind?“
Das gab mir zu denken. Blindes Menschlein hat man mich schon genannt, was übersah ich? „Wahrscheinlich. Warum hält man mich hier gefangen, weist du das?“
„Ja.. das heißt, nein. Es kommt darauf an, wie Salahr urteilen wird.“
„Habe ich etwas verbrochen? Salahr, ist das etwa einer der Herren?“
„Sie. Salahr ist die Gefährtin unseres Fürsten. Ja, DAS kannst du nicht wissen. Beide regieren unsere Gemeinschaft und sie wird entscheiden was mit dir geschehen wird, so wie sie es immer tut. Die meisten bleiben hier im Dorf…“
„So wie du?“ unterbrach ich sie, worauf sie schwieg und lange nachdachte.
„Ja… doch wollte ich hier her, und wurde nicht von den Boten gefangen genommen.“
„Die Boten?“
„Die Ewigen, die dich her brachten. Wir nennen sie Boten, den im Auftrag des Palastes sind sie immer unterwegs und kommen aller Jahre zurück um…“
„Gefangene zu bringen…“
„Ja. Und nein. Sie bringen nicht immer einen Träumer mit.“
Mir gefror das Blut in den Adern. Ein Gefühl, das ich heute im Übrigen sehr vermisse.
„Ich muss gehen.“
„Auf bald.“
„Nein.“ Und damit verriegelte sie wieder die Tür zwischen mir und der Freiheit die just von den ersten Sonnenstrahlen berührt wurden. Es verging der Tag ohne das man meiner gedachte und als es dunkelte kamen zwei Männer die mich, die ausgemergelt und zwischen Verzweiflung und Zorn schwankend der Ohmacht nah war, zum Palast brachten vor dem mir inzwischen graute. Ich sah Arbeiter mit denselben, leeren Blicken und merkwürdigen Lächeln auf den Gesichtern, wie schon bei Marish und es machte meine Furcht nicht geringer. Doch kann und muss ich heut gestehen, dass auch die Spannung zunehmend wuchs denn ich erhoffte vollste Aufklärung von jenen, zu denen ich gebracht wurde. Diese ganze Angelegenheit erschien mir mystisch, und stets haben mich doch die Neugier und jene Sehnsucht nach den Mysterien voran gebracht.
Ich sehe, mein Freund, ich kann euch nicht alle meine Eindrücke und Gedanken bis ins Detail schildern, denn es würde Jahre dauern dies nieder zuschreiben und auch wenn ich die Zeit dafür mein eigenen nennen könnte, so könnt ihr es nicht.
Im fertig gestellten Teil des Palastes war es erschreckend kalt und dunkel. Wo man mich hinbrachte waren Kuhlen in den Boden gelassen die durch ständig prasselndes Feuer Rauch, und wenig Wärme verbreiteten. Am Ende dieses Raumes war ein Podest mit zwei Felssesseln. Eine unangenehme und protzige Art, hof zu halten. Die Herrschaften die darauf thronten schienen mir nicht weniger unbequem. Der Mann - der Fürst- saß steif und unbeweglich und hielt locker die Hand seiner Gefährten die königlich und zunächst voller Desinteresse auf mich hinab sah.
„Der Träumer, Salahr.“ Stellte mich einer der Männer vor und trat wie der andere zurück um mich allein diesem Blick ausgesetzt zu lassen.
„Ihr habt sie mir völlig falsch beschrieben, mein Gemahl. Meintet ihr nicht, sie sei eine Wilde aus dem Norden?“
Ihre Stimme war so schön. Klangvoll und lieblich, begleitet von jenem seltsamen Zischeln das ich schon beschrieb, und fast unverständlich hätte ich mich nicht beinah schmerzhaft darauf konzentriert. „Sie kommt mir viel zivilisierter vor. Tritt näher, Kind.“ Ich trat näher. Aller Angst zum Trotz stieg in mir Bewunderung auf und ich kann bis heut nicht sagen, ob es einer ihrer Tricks war, oder meine Eigenheit die Dinge schlicht zu bewundern und ihnen ergreifend zu verfallen.
„Du bist blass und dürr. Doch das seid ihr alle. Ich heiße dich willkommen in Chzak Ur, Menschentochter. Du wirst Fragen haben, sie seien vertagt. Nenne mir den Ort, wo du geboren wurdest.“
Ich antwortete ihr ohne darüber nach zu denken und sie stellte mir weitere Fragen. Nein, sie fragte nie, sie befahl einfach zu sagen, was sie wissen wollte. Schließlich lehnte sie leicht die Wange an ihre blasse Hand und schloss nachdenklich die Augen. Der Fürst indes gab kein Zeichen der Teilnahme von sich, er blinzelte einmal auf mich herab und das war alles was ich an Regung feststellen konnte.
„Du wohnst fort an hier, man zeige dir deine Räume.“ Sprach sie schlicht und entließ mich damit. Einer der Männer die mich her gebracht haben bat mich leise und mit plötzlichem Respekt, ihm zu folgen. Der Gedanke, etwas anderes zu tun kam mir erst gar nicht.
Ich wurde gewaschen und gesalbt, man gab mir Kleider die denen der Edelleute in nichts nachstanden und ich fühlte mich zum ersten Mal, seid ich die Heimat verließ, wieder wie ein weibliches Geschöpf. Meine Räumlichkeiten bestanden aus zwei fensterlosen Zimmern die jeweils so groß waren, wie das Haus in dem ich geboren wurde. Für euch ist es natürlich eine Selbstverständlichkeit, doch denkt an die Armenhütten vor den Toren Sal Venas welcher je hundert Stück in euer Haus passen würden.
Die Tage darauf waren ereignislos und langweilig bis Salahr wieder nach mir schicken ließ und ich sie allein in ihren Privatgemächern antraf. „Wahrlich, zivilisiert.“ Lauteten ihre begrüßenden Worte und sofort war ich wieder ganz fasziniert von dieser Schönheit, ihrer Person und ihrer Stimme. Es liegt die Vermutung nah, dass es ein Zauber war den sie wirkte, doch will ich in nichts die Schuld von mir weisen, aus freien Stücken mein Schicksal angetreten zu haben.
Sie hieß mich setzten und vorerst war unserer Gespräch so eintönig wie bei unserem ersten Treffen.
„Sage mir, Kind, wo du hier bist“, forderte sie mich auf und ich war verwirrt.
„In eurem Palast, dem Chzak Ur“ fragte ich halb und sie strafte mich mit einem langen, kalten Blick.
„Du bist entsetzlich dumm. Und du ignoriertest die Bücher, die dir bereit standen.“
„Ich sah sie, aber ich wusste ja nicht… außerdem kann ich nicht lesen.“ Mich straffend und um vor ihr nicht die ganze Würde zu verlieren fügte ich hinzu, dass ich es nie für wichtig befand, lesen zu können. Sie entließ mich ungnädig und beim Hinausgehen hörte ich, wie sie zu sich selbst zu sprechen schien: „Ein ganzer Träumer“, waren ihre Worte und es traf mich wie eine Beleidigung. Ich erfasste damals noch nicht denn Sinn jener Bezeichnung und schon meine Mutter gebrauchte sie zum Tadel. Nun, dass ich nicht lesen konnte änderte sich alsbald, ein strenger Mann mit selbigem leerem Blick nahm sich diesem Problem an und brachte mir die Schönheit des geschriebenen Wortes nah. Ich war vom Eifer getrieben, Salahr zu gefallen obwohl ich durchaus spürte, dass schon ihre bloße Existenz nicht im Sinne des Wortes „Gut“ stand, vielmehr im Sinne des „Bösen“ so wie man es mich lehrte.
Das Lesen war für mich Beginn einer langen Ausbildung die mir, ohne dass ich gefragt wurde ob ich es überhaupt will, zuteil wurde. Ich hätte mich nicht dagegen entschieden, hätte man mich gefragt. Zu sehr lockte es mich zu ergründen worum es diesem Wesen ging, was an ihr so unmenschlich war, dass sie mich Menschentochter nannte und allem voran stieg in mir die Frage auf, warum ausgerechnet ich?
Ich verschlang die Bücher regelrecht. Allesamt Geschichtsbücher über den mittlern Teil der Reiche Aars. Ich erfuhr über meine Heimat mehr als mein Vater mir je hätte berichten können, ich las über die Entdeckung der Neus und ihren Schätzen so wie dem Höhlenvolk das die Felsen bewohnt, ihren Eigenarten und Gebäuchen. Zu allem wusste mir der zugeteilte Lehrer Ergänzendes zu erzählen und als ich endlich auf den Kern Chzak Urs kam, entfesselten sich hitzige Gespräche zwischen uns. Wobei lediglich ich die jenige war, die sich ereiferte und er zusehends stiller und in sich gekehrter wurde. Ich will sagen, mein Freund, dass ich damit nicht einverstanden war auf was jener Kult basierte. Ihr könnt es euch mittlerweile gewiss denken, dass es sich um nichts Geringeres als dem Ursprung der Ceraness, den ewig jungen, handelt. Meinem Ursprung, wenn ihr mir den Hochmut erlauben möget.
Es waren Wochen vergangen, als mich Salahr wieder zu sich rief und sie lies mich berichten, welche Fortschritte ich gemacht hätte. Ich indes ließ sie wissen, dass ich nichts des Erlernten als Fortschritt, viel mehr als geistige Verirrung betrachtete. Sie lachte, und wie sie lachte. Es war nicht höhnisch oder feindselig und sie sprach mir ihren Dank für „meine erfrischenden Worte“ aus. Dermaßen ermuntert und gelobt wagte ich es, auf den moralischen Zweispalt der Ceraness zusprechen zu kommen und anders als erwartet, erklärte sie mir voller Offenheit die Bestimmung jener Rasse und ihre Ansichten darüber. Die Nachsage der blutrünstigen Ceraness kommt natürlich nicht von ungefähr, doch geschahen jene Gräueltaten lange nach der Zeit Chzak Urs. Nicht, dass ich Salahr verteidigen wollen würde, aber es sei zumindest gesagt. Sie pflegte sogar einen recht humanen Umgang mit ihren Opfern, wie Ihr sie nennen würdet, und zu jener Zeit war den Ceraness ihre Nahrungsquellen aus freien Stücken dar geboten und die Menschen legten religiöse Hoffnung in ihr Tun. Es sei erwähnt, dass einigen der Glaube verloren ging nachdem sie einige Zeit im Dorf verbrachten. Das beste Beispiel war Marish, und Salahr sprach lange über sie und ihre Ambitionen, mich damals in der Gefangenenhütte zu warnen und zu pflegen. Ich fragte nicht, woher sie es wusste, wusste nicht einmal ich von dieser heimlichen Allianz. Salahr jedenfalls schien es zu dulden und ließ vermuten, dass es gleichgültig sei wenn das Mädchen ging oder wider bessern Wissens bliebe. Diese Einstellung trug nicht wenig zu meiner Bewunderung für die Ceraness bei. An jenem Abend vergaß ich meine restlichen Fragen und lauschte ergeben ihren Erzählungen über die „Höhere Rasse“, wie sie es nannte.
Meine Ausbildung beschränkte sich nicht nur auf Sprachen, welche es da mehrere gab, und Geschichten verschiedenster Kulturen, sondern befasste sich auch mit notwenigen Sonderlichkeiten wie höfischen Verhalten, Rangordnungen unter den Adelshäusern damaliger Reiche und schlussendlich mit meiner Rolle in dieser Trauerkomödie, wie man sie erst Jahrhunderte später auf die Bühnen brachte.
Ich hatte mehr oder weniger Bewegungsfreiheit im Palast sowie im Dorf und war auf der Suche nach Marish, wenn ich mich nicht irre, als eine Frau aus Chzak Ur stürzte und mich zurück rief. Salahr würde an diesem Abend zu einer längeren Fahrt aufbrechen und mich hatte sie zu ihrer Begleitdame bestimmt. Man sagte es mir mit einer gewissen Schärfte die mich auf Neid schließen ließ und ich fühlte mich dadurch erhoben. Ein besseres Blendwerk als Geschmeide und Tand ist seit jeher Sympathie. Ihr sollt jedoch keinen Anstoß daran nehmen.
Wir reisten in geschlossener Kutsche und es war eine Nacht ohne Schlaf, denn solange Salahr die Augen offen hielt wollte auch ich nicht ruhen. Zum Geleit war fast das halbe Dorf aufgerufen, hauptsächlich Männer die in der Not ein Schwert führen konnten, und einige der mir unbekannten Ceraness. In unserer Kutsche war eines dieser Mädchen aus dem Dorf, das in ihrer Jugend schon so alt, benommen und leer wirkte und ich hatte eine dieser Vorahnungen, auf deren Bestätigung man nur allzu gern verzichten konnte.
Wir fuhren in den norden, das heutige Fahrland gab es noch nicht, nach Dislg welches schon damals Sitz der Krone von Lg Barov war. Die Reise schien kein Ende zu nehmen und umso beschwerlicher wurde sie dadurch, dass wir nur bei Nacht durchgängig fuhren. Wie sonderbar es mir noch damals erschien… Eines Nachts, als man neben dem Klappern der Pferdehufe das Rauschen des jungen Flusses Faiesen hörte, erwachte Salahr aus ihrem leichten Schlummer. Ich selbst schlief halb und sah wie im Traum, dass sie dem Mädchen mütterlich über das Haar strich und leise mit ihr sprach bis jene der Ceraness ihren Hals darbot. Wie tief hat sich das Bild in mir eingebrannt, dass ich danach unzählige Male sah. Sie wimmerte leise als Salahr die dünne Haut mit ihren kleinen Reißzähnen teilte und verstummte, je mehr Blut aus ihr gesogen wurde. Das Mädchen sackte in sich zusammen und Salahr hielt sie in den Armen als sie ihr Mahl beendete. Inzwischen war die Müdigkeit aus mir gewichen. Ich wusste nicht, wie ich hätte reagieren sollen - schließlich wusste ich nun schon lang, in wessen Gesellschaft ich mich befand- und versuchte Salahrs Blick gelassen zu erwidern. Ich meinte zu spüren, wie ihre Augen meine Gedanken lasen, mein Herz ergriffen und nach Reaktion forschten. Ich hielt ihr nicht stand und vergrub das Gesicht in beiden Händen. Ich wollte raus, raus aus dieser dunklen Kutsche, die gleich meinem derzeitigen Leben war und das tote Mädchen hinter mir lassen, welches frei und für die Hoffnung an Wesen die sie nie mehr kennen lernen würde ihr Leben einer hungrigen Blutsaugerin gab. Ich ließ lang aufgestauten Tränen freien Lauf, Korulin, denn gleichzeitig wollte ich doch das Mädchen sein, dass dort vor mir in Salahrs Armen lag und durch ihre streichelnde Hand einen scheinst wunderbaren Segen genoss…
Die Reise brachte uns durch Dörfer, kleine Städte und endlich zum Ziel wo Salahr mit viel Aufheben zum Thron vor gebeten wurde. Welcher König damals regierte, entzieht sich meiner Erinnerung, es ließe sich eventuell herausfinden, es war das Jahr 539, wie ich später in meiner Ausbildung vernahm, und die Ankunft der Tag meines 23sten Geburtstages.
Wir blieben ungefähr eine Woche, dann reisten wir wieder in den Süden um dem heutigen Sal Vena einen Besuch abzustatten. Welche Geschäfte meine Fürstin zu jener Fahrt bewogen interessierte mich wenig und sie hielt meine Aufmerksamkeit auf unsere Gespräche über die Mysterien der Welt beschränkt. Ich lernte die Natur des Menschen kennen, oder genauer betrachtet ihre Auffassung davon, dass in jedem zu gleichen Teilen Gut und Böse haust und beides, im steten Ringen mit einander, nur bewusst und effektiv von Wissenden beherrscht und angestrebt werden kann denn ein schlafender Verstand liegt lediglich als passives Element im Strudel des Geschehens und stellt oft unwissendlich das Werkzeug für die groben Arbeiten einer beider Seiten dar. So drückte sie sich aus und mir behagte jene bildliche Vorstellung gar nicht, als lebloses Objekt von einer unbekannten Hand zu ungewollten Taten geschwungen zu werden. Im Laufe jenes Gesprächs lies Salahr mich erkennen, dass die Träumer, von denen so oft die Rede war, Menschen seien die von höher Hand geweckt, und bestimmt wurden das Leben zu er- und begreifen.
„Sie werden untergehen wenn sich keiner ihrer annimmt und ihr Talent, mit Herz und Geist zu denken, fördert. Erinnere dich deines Leidens als du im Kerker des heimatlichen Ofens saßest und man dir jeglichen Blick in die Welt verwehrte. Es ist gewiss, dass dir Messer und tiefe Seen täglich einladender erschienen. Ein Glück, auch für mich, wähltest du den Weg in die Welt wo man dich endlich fand.“
„Warum ich?“ platzte es aus mir heraus und ihre kühle Antwort enttäuschte mich: „Du warst gerade da.“
Ich wurde sechsundzwanzig, als wir Chzak Ur wieder sahen. Unser Tross hat sich bis auf ein Minimum verkleinert, doch das Dorf war in dieser Zeit auch ohne uns gewachsen. Salahr zog sich für einige Monate zurück und ich setzte mein Studium fort um ihrer Vorstellung eines „wachen Menschen“ gerecht zu werden. Außerdem schadete es mir nicht. Anders als der Magen wird der Kopf nie überfüllt. Zumindest sucht sich Wissen keinen Weg zurück nach draußen, sollte man sich doch einmal übernehmen. Merkt euch dies, mein Freund, solltet ihr wieder einmal unter Kopfschmerz leiden und es auf unsere Unterhaltungen schieben.
Es kehrte ein regelmäßiger Ablauf ein. Ich vertiefte mein Wissen und Salahr fragte mich beiläufig in unseren nächtlichen Gesprächen danach ab. Ich war oft im Dorf und erfuhr mehr über die religiöse Hingabe der Bewohner, die ich ob meiner Distanz zunehmend als Zuchtgut und Nahrungsquelle des Palastes betrachtete. Das ist die traurige Wahrheit. Ich suchte bei jenen Menschen anfangs nach einem Funken Rebellion, doch waren es wenige die ihren freiwilligen Entschluss verwarfen, und jene hatten stets die Möglichkeit zu gehen ohne dass sie jemand aufgehalten hätte. Ich traf Marish wieder, doch sie ging mir, wenn auch respektvoll so jedoch verletzend, aus dem Weg. Später erfuhr ich von Salahr, dass dieses Mädchen wegen eines Ceraness im Palast so hartnäckig blieb. Sie erwähnte, dass Marish hofft zu „Höherem“ erwählt zu werden, jener Ceraness jedoch keinen Gedanken an sie verschwendete und sie ohnehin „gänzlich untauglich für ein Dasein, dass sie schon bei Betrachtung aus der Ferne derart erschreckt“ wäre. So war das Leben von Chzak Ur.
Ich verlor die Zeit aus den Augen, doch im Sinne der Jugend war ich wohl schon eine ältere Frau als vollendet werden sollte, worauf mich Salahr so lange vorbereitete. Es war eines jener nächtlichen Treffen in dem sie mir offenbarte, dass alles, was ich mir erarbeitete nie in einem Menschenleben zur Geltung kommen würde, und ich musste ihr Recht geben, dass die Zeit, die uns oft so lang und schleppend erscheint, erschreckend begrenzt ist ob des Verfalles den die mit sich bringt. Anders ausgedrückt, ich würde hinter Büchern sterben, würde sich nicht etwas ändern und das schien mir der Sinn ihrer kleinen Ansprache zu sein. Schon bereitete ich mich innerlich auf eine erneute Reise in die Welt vor, doch sie gedachte den Dingen einen anderen Lauf zu geben und stellte mich vor eine schwierige Endscheidung.
„Du hast mir auf deine Art gedient und bist ausgebildet wurden. In weltlichen Dingen und geistigen. Unter den Menschen ist es wohl üblich, dich mit Empfehlungen fort zuschicken und zu hoffen, dass du dein Wissen und Können deinem Meister zu Ehren anwendest und weiter gibst. Es liegt an dir, Träumer, zu entscheiden, ob du als gebildete Frau in einer dir beliebigen Stadt jener zu besserem Sein verhelfen willst, oder aber Chzak Ur dienen und angehören willst. Der Fürst und ich haben beschlossen, dass wir dich in beidem unterstützen würden, vorausgesetzt, du willigst in jeweilige Maßnahme zum Schutz deiner selbst, und unserem, ein. In zwei Tagen wird man nach dir schicken, gutes Kind. Geh nun.“
Und hier nun beginnt der eigentliche Teil meiner Rechtfertigung. So wohl zu meinem Gebaren Euch gegenüber als Ihr mich in jener unpässlichen Lage vorfandet die mich letztendlich enttarnte, als auch zu meinem Entschluss der Euch offensichtlich ist und jedweder Geheimniskrämerei enthoben.
Es schien mir verlockend auszuziehen und mit „besserem Status“ in der Gesellschaft zu leben und zu wirken. Ich gedachte, mich der Heilkunst zu widmen und die damals noch rückständige Forschung auf jenem Gebiet voran zutreiben. Wenn ich mich recht erinnere, erwog ich es sogar mich in die Wirtschaft einzumischen und einer Stadt oder Dorf zum Wohlstand zu verhelfen, vielleicht sogar meinem Dorf, auf dass man meinen Namen nicht vergisst. Ehrbare Gedanken, möge man behaupten, doch war dies wirklich mein Wunsch, und vor allem Grund meines Werdegangs? Verlor ich nicht meinen Traum aus den Augen, der mich erst hat aufbrechen, und so weit kommen lassen? Wie Salahr mir einige Jahre zu vor auftrug, gedachte ich jener Zeit, als mir die Sehnsucht schier den Verstand geraubt und meine Liebe zu der Shellaij, zu den Mysterien, mich davor bewahrte, im Leid, im Selbstmitleid zu vergehen. Die Hälfte eines Menschenlebens war verlebt, und nun erbot sich mir dir Möglichkeit auf die kommenden Jahre mit Gelassenheit zu blicken, denn sie könnten mir nichts mehr anhaben wenn, mein Körper in sich selbst konserviert und stets erneuert durch den roten Lebensquell anderer Geschöpfe, ich jenen Weg ginge. Dies war natürlich ein sehr oberflächlicher Gedanke, doch trug er erheblich zu meinem Entschluss bei. Ein Mensch kann nicht alles gesehen, alles gehört und gefühlt haben in dem, im besten Falle, Jahrhundert das er hat. Es braucht Äonen die Welt, alles auf und um ihr, zu begreifen und zu jener Zeit erschien es mir richtig, wenn ich mir auch des Höhenflugs bewusst war, dieses Ziel anzustreben. Denn dies war Bestimmung der Ceraness seit sich jene Rasse aus der Urkultur der Neus gebildet hat und Zweck der ewig jungen die durch ihr Sein Wissen vor der Vergessenheit bewahren konnten. Und war es nicht auch so, dass man durch jenes Sein der Mystik, durch bloßes Verständnis näher kam? Konnte es sein, dass ich meinen Träumen, meinen Engeln gleich war ging ich selbigen Bund mit der Ewigkeit ein und stellte mich in den Dienst der höheren Fügung als dem weltlichen Schaffen? Dies, mein Freund, war meine Hoffnung und meine Auffassung von Rechtschaffenheit welcher Ihr nun meiner zweifeln möget da euer Blick auf das Hier und Jetzt gerichtet und, mit Verlaub, beschränkt ist auf das, was euch unmittelbar umgibt. Ich klage Euch deshalb nicht an, doch hoff ich durch treffendes Wort euren Blick zu weiten…
Ich verbrachte die mir verbleibenden Tage in Meditation, denn ich fürchtete um meine Geistesklarheit sollte ich meine Entscheidung noch, und noch einmal überdenken.
Eine Prozession blickloser Menschen erwartete mich vor meinen Gemächern und gab mir Geleit bis zu jenem Saal, in dem mein Leben auf Chzak Ur begann. War der Palast auch inzwischen Vollendet, so war dieser Raum unverändert und Herz des Komplexes. Die Versammlung bestand ausschließlich aus der „Hohen Rasse“, die Dienerschaft blieb vor den Türen und wie einst stellte man mich dem Fürst und seiner Gefährten vor.
„Der Träumer, Salahr.“
„Tritt vor, Kind“ und ich spürte hundert wissende Augenpaare meinen Gang zum Thron verfolgen. Selbst der reglose Fürst sah mir entgegen und in seinem Blick lag eine Tiefe, derer ich mich nur mit Mühe entzog um Haltung, und Konzentration zu behalten.
„Sag mir, wo du bist.“ Trug mir ihre kühle, desinteressierte Stimme auf der ich nur in tiefer Demut antworten konnte.
„Am Beginn einer Reise, deren Ziel mir durch Euch offenbart wurde, und deren unergründliche Wege durch eure Hand gewiesen werden sollen.“
Das belustigte Blitzen ihrer Augen kränkte mich, immer hin war meine improvisierte Rede dieser Zeremonie vollkommen angemessen.
„So nenne mir das Ziel deiner Reise, Kind.“
„Das Sammeln und Ergründen vom Wissen der Welt und Lehren die der einst gesprochen werden mögen, so wie das Erlangen der urteilsfreien Betrachtung von Mensch und Tier, Sein und Wirken, dies Salahr sei mein Ziel, wie es vorbestimmt war noch eh ich es erkannte.“
Es folgte langes Schweigen darauf und ich kam nicht umhin meinen Entschluss in Frage zu stellen. Nein, nicht meinen Entschluss, viel mehr meine Worte in die ich ihn kleidete. Jedoch geschah alles zu Salahrs Zufriedenheit und ihre Worte „So sei es!“ waren die letzten, die in dieser Zeremonie gesprochen wurden. Ihr werdet es mir nachsehen, wenn ich euch das Ritual zu meiner Wandlung nicht schildere und hiermit meinen Bericht abschließe. Euch wird nicht entgangen sein, dass sich das Verhalten meiner Rasse seit jenen Tagen, gerade was das Tageslicht betrifft, merklich verändert hat. Vielleicht werdet ihr einst mehr dazu erfahren. Auch darüber, das jene Ceraness um die sich mein Beginn zudrehen scheint meinen Namen trägt, welche Tatsache gleich umgekehrt zu betrachten ist. Jedoch, genug…
Auch wenn ich gezwungen bin meine wahre Existenz zu verbergen, so würde mich nichts auf und um dieser Welt dagegen streben lassen. Nichts, bis auf das Unverständnis eines Menschenkindes, das mir glauben macht mein Herz schlüge so wie einst, lange vor seiner Zeit.

In tiefer Verbundenheit

Salahr

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